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Prothesengott, gefallen

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Oscar Pistorius war ein Sportgott. Und die Frau an seiner Seite ist jetzt tot. Einige Kommentatoren finden, das sei genau wie bei OJ Simpson damals, vor knapp 20 Jahren. Die Eifersucht. Die Selbstüberhebung. Die Neigung zu Gewalt und Gefahr. Die Fehler der Polizei. Die Vielzahl von Theorien. Die Abwesenheit von Zeugen. Ein Richter, der sich offenbar gern im Fernsehen sieht. Die Wichtigkeit von prozessbegleitender Öffentlichkeitsarbeit, sogenannter Litigations-PR. Das alles lässt den Pistorius-Prozess, der am 4. Juni beginnen soll, aussehen wie OJ im Twitterzeitalter. Dazu kommt das, was Time Magazine als Südafrikas «Kultur der Gewalt» bezeichnete. Oh, und wie es wirklich war, wird möglicherweise niemals aufgeklärt.

Der Sportler als Held?

Darüber hinaus aber verweist uns Pistorius’ Fall auf ebenjene Pathologien der Sportgesellschaft, die wir hier im Blog Mag bereits gelegentlich erörtert haben, liebe Leser. Die Sportmetapher ist zum Lösungsalgorithmus für das Leben in der Leistungs- und Steigerungsgesellschaft geworden; der Sport mit seinem Kult und seinen Mythen hat vielerorts die Religion ersetzt: die kathedralisch anmutenden Stadien, die vergöttlichten Spieler, die kultischen Handlungen der Anhänger bis hin zu Massenpsychose und Ekstase, die Idolisierung der Überwindung von Widerständen (hier meist physischer Art). Gerade in dieser Idolatrie und Religionisierung begründet sich die Trivial-Mythifizierung des Sportlers im allgemeinen und von Figuren wie Pistorius im besonderen, der schliesslich quasi gegen alle Chancen zu rennen schien. Ein Held. Ein Held?

In einem sehr lesenswerten Beitrag für «The Daily Beast» stellt dagegen Buzz Bissinger unter dem Titel «The Unwarranted Mythology of Oscar Pistorius» fest, dass die Idee von Heldentum im Leistungssport absurd ist (und immer war). Denn Heldentum ist lediglich eine idolisierende Zuschreibung von Publikum und Marketing, die mit den Fähigkeiten des Athleten nichts zu tun hat. Im Grunde sind ja die Hundertstelsekundensiege des spätmodernen Spitzensportlers für den tatsächlichen Fortschritt unseres gestauchten Planeten genauso irrelevant wie irgendwelche Welteroberungstriumphe in Online-Spielchen. Über den Typus des Athleten aber schreibt Bissinger: «They are narcissistic men. They have to be, anybody has to be, in pursuit of greatness. They are also men for whom the ends always justify the means, seek any edge to give them the millimeter that separates the successful from those toiling in obscurity.»

Enorme Lügenleistungen

Und hier nun kommt Peter Sloterdijk in die Arena, einer der medienwirksamsten Philosophieprofessoren im deutschen Sprachraum, der unlängst (und zwar ironischerweise im Fernsehen) postulierte: Da-sein heisst In-Form-sein. In-Form-sein sei ein kulturelles Ideal, erklärte Sloterdijk, der sich bei dieser Gelegenheit gleich auch noch als «leidenschaftlicher Radfahrer» bezeichnen liess, obschon man ihn sich auf einem Fahrrad nur überaus schwer vorstellen kann. Und, so Sloterdijk weiter: der Typ des Athleten verkörpere den Leistungswettbewerb, den agonalen Charakter der Kultur, im Grunde ein antiker Topos, nun zurückgekehrt, wenn auch irgendwie verwirrt. Denn, so Sloterdijk noch weiter: das Dilemma des zeitgenössischen Hochleistungssports bestünde in der völlig verrückten Forderung nach immer weiteren Spitzenleistungen einerseits und dem Verzicht auf die Mittel dazu (also: Doping) andererseits. Die Reaktion des Profi-Athletismus auf diese Misslichkeit besteht nach Sloterdijk in «enormen Lügenleistungen», genauer: in Doping plus «Hochleistungsformen des Lügens».

Die Implikation all dieser völlig richtigen Gedanken ist: nicht nur ist der moderne Hochleistungsathlet per se keine moralische oder heroische Figur, sondern er wird auf Doppelgesichtigkeit geradezu gedrillt. Es geht nicht um die Befolgung von Regeln, sondern um deren möglichst kunstfertige Um- und Hintergehung. Und zwar in der Gewissheit, dass das Heldenlabel trotzdem kleben bleibt, denn das Publikum verlangt nach Helden. Da kann man ja nur Hybris ausbilden. Vor diesem Hintergrund kann man nun auch die dunkleren Seiten des Charakters von Oscar Pistorius betrachten, zum Beispiel in einem vor dem Mord an Reeva Steenkamp erschienenen Portrait der «New York Times»: etwa Pistorius’ Faszination oder Obsession mit Gefahr, Martialik und Tempo, seine Kontrollverluste oder seine Unfähigkeit, graziös zu verlieren. Die Überheblichkeit, mit der er angeblich (wie die BBC kürzlich berichtete) bei der polizeilichen Vernehmung gesagt haben soll: «Ich gewinne immer.» Apropos: Daneben läuft immer noch die Diskussion, ob er nicht beim Antritt gegen nicht-behinderte Läufer auf der 400-Meter-Strecke aufgrund des erheblichen Gewichtsvorteils seiner Blades einen unfairen Bonus hatte. Jenseits aller mehr oder weniger obskuren Dopingvorwürfe.

Körperkult und moderne Medien

«The problem», schreibt Bissinger, «is our endless mythologizing of the athlete, this notion that they stand for something special beyond the field of play. They don’t, but that doesn’t stop us from trying to make them equal to the image we insist on having for them. It goes back to the Greeks and the idea of sport as some sort of Herculean sacrifice without personal enrichment.» Genau. Bis zum heutigen Tag: Durch die Prinzipien Steigerung, Technisierung und Beschleunigung sind Sport und Postpostmoderne eng verknüpft, begleitet von Körperkult, modernen Medien und der zivilisatorischen Trennung von Arbeitssphäre und Freizeit. Herr Sloterdijk wartet nach eigenem Bekunden auf das Auftauchen einer intelligenten Sportlerpersönlichkeit, die mit der absurden Steigerungslogik bricht (der Mensch ist schliesslich kein Smartphone, dessen Potenz von Generation zu Generation Monstersprünge macht) und uns quasi zurückführt auf den Weg der Besinnung. So dass wir alle uns endlich wieder auf Anmut und Grazie des agonalen Wettstreits konzentrieren statt auf gnadenlose Sieges- und Rekordfixierung. Naja. Da können wir wohl lange warten. Oscar Pistorius jedenfalls ist offenbar schon längst dabei, alles zu verkaufen, was er besitzt. Um die Anwälte bezahlen zu können. Und die Litigations-PR.


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